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  St.Cruz, mi amor
 
St. Cruz de Tenerife  -  mi amor
 
Eine Stadt mit Gesichtszügen, die auf den ersten Blick nicht harmonisch zusammen gehen und dennoch Lebenslust und herbe ungebärdige Schönheit widerspiegeln. Man muss immer wieder  hinsehen, wie bei allen Gesichtern, die etwas Besonderes haben und ist immer noch nicht satt. 
Je nachdem, wie man St.Cruz "betritt", hat man einen bestimmten Eindruck, der sich in einem eingräbt- so wie bei mir, der ich vor 17 Jahren des Nachts mit einer Fähre im Hafen ankam. Nach einer stürmischen Überfahrt von Cadiz aus war ich heilfroh, die tröstlichen Lichter zu sehen, die, an den umliegenden Berghängen verstreut, sich unten an der Kaimauer im Wasser spiegelten. Damals war ein Großteil der Insel noch kaum elektrisch großflächig versorgt, so daß sich die Stadt wie ein orange- und weißfunkelndes Juwel aus der Schwärze hervorhob. Ich war Auswanderer und mit mir waren Etliche auf dem Schiff, die ebenfalls Deutschland den Rücken gekehrt hatten. Nun standen wir alle auf dem Vorderdeck und ließen uns mit glänzenden Augen langsam dem Ufer zutreiben. Bereits damals verliebte ich mich in St.Cruz oder wie die Engländer so treffend sagen: "I fell in love", - stimmt: Ich fiel hinein in dieses Gefühl.
 
Natürlich könnte man sagen, die Raffinerie an der südlichen Einfahrt stinkt erbärmlich nach Gas, natürlich ist die vielgepriesene "Umgestaltung"  der "Plaza Espana" eine teure Pleite gewesen, 
klar bricht dauernd der Verkehr zusammen, weil immer irgendwo eine Baustelle neu eröffnet wird und jeder Canario inzwischen drei Autos hat.Selbstverständlich gibt es Ecken, in denen immer noch anorektische oder adipöse Huren sitzen und die abgeblätterten Mauern nach Urin riechen, die Inder in den Fußgängerzonen sind unverschämt und überall ist die Kriminalität gestiegen. Das könnte man sagen und es stimmte alles.
Auch, dass die Kellner hier mindestens ebenso mies gelaunt sind wie in Bayern und einem das Essen auf den Thresen pfeffern, nach dem Motto: "Hier hast du deinen Fraß, wenn du uns hier schon belästigen musst!" Es macht übrigens keinen Sinn, freundlich-kriecherischen Augenkontakt mit einem der schwarzbefrackten Senores aufnehmen zu wollen. Sie sehen einen nicht.
Eigentlich ist es mit mir und der Stadt wie bei allen Verliebten: Man weiß, dass der andere vielleicht Fußschweiß hat, aber man sagt sich: "Was soll´s, wäre Fußpilz nicht viel schlimmer?"  
 
Betritt man die Stadt per Auto, kommt man immer von der Autobahn, weil alle kleineren Landstraßen in sie einmünden.
Wenn man Glück hat (oder sich gut auskennt), findet man die richtige Spur zu dem Ort, wo man hinwill, aber eigentlich eher nicht. 
Alle fahren zu schnell, man selbst zwangsläufig auch und bevor man sich´s versieht, ist man bereits in Richtung Norden unterwegs oder auf dem Weg ins Industriegebiet. Da kommen kaum romantische Gefühle auf, - der erste Eindruck ist von Ärger, Hilflosigkeit und Schweißausbrüchen getrübt. Wer gerne aber gerne an seine totalen Grenzen geht, sollte sich mit dem eigenen Auto in die Ramblas vorwagen. Dort gibt es zwar die schönsten Geschäfte, die besten Restaurants, Kunst und Architektur, alte Privatgärten,-
doch keine Parkplätze. So gesehen, fährt man stundenlang an denselben Objekten vorüber und kann sie wenigstens auf diese Weise verinnerlichen. 
Ich persönlich muss das nicht haben, sondern stelle mein Auto unten in Hafennähe in einem öffentlichen Parkplatz ab und nehme mir ein Taxi. Es kostet nicht viel und die Fahrer sind meist nett.
 
St.Cruz hat momentan -mit den umliegenden Städten, die alle gleichsam hineingewachsen sind- etwa knapp 480.000 Einwohner, davon dürften etwa zwei Drittel Kinder und Jugendliche sein, denn jede echte Canaria liebt und gebiert gerne Kinder. In den vielen traumhaften Parks mit ihren schweren Lorbeer- und Benjaminibäumen tobt denn auch das pralle Familienleben,besonders an den Wochenenden. Entkommene Kakadus und gemeine Stadttauben teilen sich die Wipfel der Bäume, durch die auch an heißen Sommertagen kaum ein Sonnenstrahl hindurch dringt. 
Im kühlen Schatten lässt es sich trefflich sitzen und die Vorüberwandelnden "studieren". Früher konnte man an bestimmten Kleidungsstilen die verschiedenen Nationen recht gut unterscheiden. Shorts zu Cellulite oder O-Beinen, dicke Turnschuhe, Käppi auf, Rucksack: Deutsche oder Engländer, auch Niederländer möglich. Herr im Anzug, Dame im Kleid: Canarios. Lässige casual wear: Spanier.
Heute ist das nicht mehr so einfach, denn auch Einheimische gehen inzwischen in Shorts oder mit nacktem Oberkörper. Jungs tragen wie überall Baggy-Hosen, die vermuten lassen, ihnen wären die Pampers in Richtung Knie gerutscht und die Mädchen sehen aus wie vom Babystrich.  Der "Lady Gagaismus" hat auch hier erbarmungslos zugeschlagen.
Staunend sehen die alten Leute auf den Bänken diesen seltsamen Gestalten nach, die einmal ihre Enkel waren und jetzt eine andere Sprache haben. Sie schütteln darüber den Kopf, wie tausende Generationen vor ihnen und sicher auch danach.
 
Die Stadt hat in den letzten Jahren aufgerüstet, das Auditorium, ein wilder weißer Origami-Traum aus blendenden Keramikfliesen, die Zwillingstürme am Hafen, der künstliche See an der Plaza, die Renovierung alter Gebäude, traumhafte Museen und Kunsttempel und die unendliche üppige Bepflanzung überall- man findet sich häufig mit offenem Mund wieder, auch wenn man schon viele Male hier war. 
Bemerkenswert ist auch das wilde Stilgemisch an jeder Straßenecke- die steinernen Psychosen der Franco-Ära neben einem gutmütigen kanarischen Stadthaus, ein gigantisches Betonmonster im 70er-Jahre-Design neben einem zierlichen Rokoko-Gespinst, daneben mehrere schlicht renovierte Bauernkaten, in denen kleine Geschäfte oder Bars untergebracht sind- es ist alles da, gleichzeitig und selbstverständlich und es hat einen ungeheuren Reiz.
Trotzdem liebe ich den Kleine-Leute-Teil von St. Cruz am meisten.
Da, wo winzige Straßen nur ein Auto hindurch lassen und kleine, bunte Häuser sich aneinander drücken, wo es eine dunkle kühle Schreinerei gibt, eine ältere Mutti in Filzlatschen und Kittelschürze zu Tante-Emma geht und in der die ebenerdigen Fenster mit ihren Läden noch aus Holz sind und halb offen stehen. Irgendwo Kindergeschrei, ein Hund bellt vom Dach, ein alter Mann mit Filzhut geht vorbei und grüßt mich Fremden..... und wo diese Ortsteile zuende sind, erheben sich steile, kantige Hügel gegen den dunkelblauen Himmel. Nach all dem Glitzer und Glamour der Innenstadt kommt man auf den Boden zurück, so wie in Las Vegas, wo man nach den letzten Häusern plötzlich in der Wüste steht. 
Und alle diese Eindrücke, die Gerüche und Geräusche, das Unvermutete, die Wandlungen dieser Stadt lassen in einem etwas entstehen, das man sonst nur einem lebendigen Wesen entgegen bringt, das einen lächeln lässt und im Inneren ein zärtliches Gefühl entstehen.
Ja, ich glaube, es ist Liebe.
 
 
V
 
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